Es wird immer schwieriger wirklich gute Bewerber:innen für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Aber warum verzweifelt draußen suchen, wenn der Schatz bereits praktisch vor der Haustür liegt?
Oft sind nur die richtigen Methoden notwendig, um die vorhandene Schwarmintelligenz erlebbar zu machen. Der Resilienz-Schlüssel der Eigenverantwortung schafft hier ein wichtiges Fundament, auf das aufgesetzt werden kann. Mit Hilfe von Formaten, wie Job Crafting entdecken die Mitarbeiter:innen mit welch einfachen, ersten Schritten das bestehende Jobprofil angereichert werden kann. Das hat zahlreiche Vorteile für beide Seiten.
Warum ist Job Crafting gerade jetzt so bedeutsam?
In einem technologiegetriebenen und effizienten Umfeld gehen zwischenmenschliche Begegnungen und Resonanzbeziehungen deutlich zurück. Menschen fühlen sich ungehört und unbedeutend, als Folge gehen psychische Erkrankungen durch die Decke. Es sind physische, emotionale, mentale und spirituelle Energien die den Menschen mit seinen individuellen Bedürfnissen dazu bewegen Höchstleistung zu erbringen und damit nachhaltig den wirtschaftlichen Erfolg für die Organisation sichern.
Job Crafting setzt hier an und wirkt sich durch eine erhöhte Sinnstiftung positiv auf die Bindung und Loyalität zum Arbeitgeber aus.
Wie wird man zum Job Crafter?
Job Crafting sorgt kurz gesagt dafür, persönliche Ziele mit den Unternehmenszielen in den Einklang zu bringen. Es geht darum, Arbeit so zuzuschneiden, dass sie für den/ die Mitarbeiter:in gewinn- und freudebringend sowie im Sinne der Organisationskultur effektiv ist. Das hört sich jetzt auf den ersten Blick gar nicht so einfach an, kann es aber sein.
Hierzu ein einfaches Beispiel. Ein Mitarbeiter, der eigentlich SEO-Manager ist, beschäftigt sich privat intensiv mit Grafikprogrammen.
Status Quo: Selbst bei kleineren Anpassungen werden externe Grafikagenturen eingeschaltet, obwohl Ihr Kollege dies mindestens genauso gut und deutlich kostensparender umsetzen könnte.
Ja, aber – werden Sie sich jetzt wahrscheinlich denken, es geht doch um die Einhaltung von CI/ CD-Richtlinien und wenn hier jeder einfach wild rumbasteln würde, wo kämen wir denn dann hin?
Richtig, der Kollege soll ja nicht die interne Marketingabteilung aushebeln, sondern zu Beginn sein Wissen beispielsweise für die Erstellung von Mockups einsetzen.
Was hätte das für Konsequenzen? Sie sparen externes Budget und intensive Abstimmungsrunden mit Dienstleistern. Ihr Kollege kann sein Wissen einsetzen. Das macht stolz und bedeutet Interesse und Wertschätzung von Fähigkeiten, die nicht nur im eigentlichen Jobprofil angesiedelt sind.
Dafür muss man natürlich wissen, was die Kolleg:innen neben ihrer täglichen Arbeit noch so auf dem Kasten haben. Es lohnt sich also bei Entwicklungsgesprächen nicht nur den Fokus auf die Zielerreichung zu setzen, sondern den Blick auf persönliche Stärken und dem Erkunden der Inhalte und Rahmenbedingungen zu setzen.
Die Lösung für alle?
Dieses Modell funktioniert jedoch lange nicht für jede(n) Mitarbeiter:in, denn es setzt eine proaktive
Persönlichkeit, Extraversion (insb. Selbstbehauptung), Offenheit und Verträglichkeit des eigentlichen Jobs mit Job Crafting voraus. Ebenso sind eine positive Erwartungshaltung und eine generelle Selbstwirksamkeit, d.h. ein großes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten notwendig.
In Workshops zu dem Thema kommen immer wieder Bedenken auf, die auch nicht alle von der Hand zu weisen sind. Die Sorge zusätzliche Arbeit dauerhaft „ehrenamtlich“ aufgehalst zu bekommen, seinen eigentlichen Job langfristig zu verlieren, Fehler zu machen, weggelobt zu werden, nicht ausreichend als Experte zu gelten…die Liste ist lang.
Eine Unternehmenskultur, die offen an solche Themen herangeht, erleichtert es Mitarbeiter:innen und Führungskräften Job Crafting erlebbar zu machen.
Weitere Möglichkeiten der Potentialentfaltung bietet sich auch im Modell des Sidepreneurships. Bei dieser nebenberuflich Selbstständigkeit, genießt der Gründer den Vorteil des sicheren Angestellten-Einkommens und schärft seinen Unternehmergeist mit dem Business seiner Wahl, außerhalb des sicheren Schoßes der Konzernmutter.
Und wer hat’s erfunden?
Job Crafting, manchmal auch Job Shaping genannt, wurde im Rahmen der Positiven Organisationspsychologie entwickelt. Die Kernidee: Es ist immer möglich, kleine Anpassungen am eigenen Job vorzunehmen – so dass Arbeit sich optimal an eigene Motivation und Stärken anschließt. Als Urheber dieses Konzeptes werden Wrzesniewski & Dutton angesehen. Mit ihrem Artikel von 2001 haben sie den Fokus verändert: Es geht darum Menschen zu unterstützen selbst aktiv zu werden und ihre eigene Arbeit motivierend zu gestalten.
Hallo Eigenverantwortung! Und damit wären wir wieder bei einer der zentralen Resilienz Säulen.
Die Suche nach der Sinnstiftung
Die Welt von heute ist weniger von klar definierten Aufgaben geprägt, sondern braucht Mitdenken, Proaktivität, Leidenschaft und Flexibilität. Während die Generationen der Babyboomer und -X noch auf lange Betriebszugehörigkeiten zurückblicken können, wird heutzutage eine hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit vorausgesetzt. Lebenslanges Lernen, Selbstreflexion und eine digitale Grundkompetenz sind Zukunftskompetenzen, die nicht mehr wegzudenken sind. Der Ansatz auch Fähigkeiten und Talente außerhalb des Jobprofils mit einzubeziehen, könnte neue Möglichkeiten der Selbstwirksamkeit und Sinnstiftung ermöglichen.
Sinnstiftung macht uns zufriedener, leitungsfähiger und gesünder. Es ist eine wichtige Säule in dem Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky. Antonovsky verstand das Konzept des Kohärenzgefühls „als Kern der Antwort auf die salutogenetische Fragestellung“. Es setzt sich aus drei Teilkomponenten zusammen: Verstehbarkeit der eigenen Person und der Umwelt (comprehensibility) Gefühl von Bedeutsamkeit oder Sinnhaftigkeit (meaningfulness).
Die salutogenetische Fragestellung: Wodurch bleibt der Mensch gesund? Der Ansatz der Salutogenese ist somit den Menschen beizubringen, besser in dem reißenden Fluss des Lebens schwimmen zu können.
Wenn der Job auf einmal wieder Spaß macht.
Die Stellschrauben; Veränderung von Aufgaben, Beziehungen und Kontext sind Wege, die die Arbeit selbst verändern können. Darüber hinaus geht es auch um die kognitive Perspektive, nämlich die persönliche Haltung oder Einstellung. Hier lohnt es sich den Blick auf die eigene Arbeit zu ändern. Die Corona-Krise zeigt uns hier schöne und bisher wahrscheinlich eher untypische Beispiele für sinnstiftende Jobmodelle auf. Ein Facility Manager, der den Vorstand zu Hygienekonzepten berät, Angestellte von Energieversorgern und -aus der ICT-Branche, die dafür sorgen, dass uns der Saft im Home Office nicht ausgeht und wir trotz social distancing weiterhin miteinander vernetzt bleiben.
Das Gefühl, das die eigene Arbeit einen Beitrag zu etwas Größerem leistet, verändert die eigentliche Einstellung zur Arbeit.
Die eigene Berufung zu finden, kann ansteckend sein.
Im besten Fall hört der Effekt damit noch nicht auf. Der Theorie nach wirkt Job Crafting regelrecht ansteckend. Wer also mit gutem Beispiel vorangeht und sich seinen Traumjob selbst zimmert, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass andere Kolleg:innen sich ebenfalls dafür begeistern.
Schwarmintelligenz erlebbar machen – eine Bottom-Up Initiative
Eines meiner Lieblingsbeispiele für Job Crafting ist die „LEX – Learning from Experts“-Initiative in der Deutschen Telekom mit aktuell über 20.000 firmeninternen Mitgliedern weltweit (Stand 11/2022).
Doch was macht LEX so erfolgreich? Ein kleines Team stellt eine Plattform zum Austausch im Intranet bereit. Die Angebote auf dieser Lernbörse dort werden nicht zentral „von oben“ verordnet, sondern kommen ganz im Gegenteil direkt aus der Belegschaft. Jeder, der sein Wissen zu einem Thema teilen möchte, bietet eine „LEX-Session“ an. Diese dauern in der Regel maximal eine Stunde und werden, auch schon vor Corona, zum größten Teil Online abgehalten.
Die wachsende Nachfrage zeigt den hohen Mehrwert der Sessions für die Lernkultur des Unternehmens.
LEX schenkt Mitarbeiter:innen die Möglichkeit ihren Job aktiv anzureichern, indem Wissen kostenfrei geteilt werden kann. Belohnt wird das Ganze mit jeder Menge Feedback und Sichtbarkeit. Und gesehen zu werden, bedeutet Wertschätzung.
Wozu also auf den Traumjob warten, wenn man ihn sich selbst erschaffen kann?